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Eine Kolumne von Marco Fuchs: Gedanken über Zeit und Raum

Wir müssen die Lust auf Innovation in der ganzen Gesellschaft wecken

17. Mai 2021. Özlem Türeci und Ugur Sahin waren bis vor kurzem nur Pharmaexperten ein Begriff. Durch die Covid19-Pandemie und ihre gelungene Entwicklung eines wirksamen Impfstoffs gegen das SARS-CoV2-Virus wurden die beiden Gründer des deutschen Pharmaunternehmens Biontech jedoch schlagartig berühmt. Und das völlig verdient. Ihre Geschichte belegt, welcher Nutzen für die Zivilisation in der Kraft der Innovation liegt.


Dabei ist das Ehepaar nur das derzeit bekannteste Beispiel für eine lange Reihe von großartigen Erfinder:innen und Entwickler:innen in Deutschland. Erst kürzlich hat das Deutsche Institut für Erfindungswesen wieder herausragende Innovationsleistungen mit der Rudolf-Diesel-Medaille geehrt, dem ältesten Erfinderpreis Europas. Ich habe mich sehr gefreut, in diesem Jahr in der Kategorie „Erfolgreichste Innovationsleistung“ nominiert gewesen zu sein. Gewonnen hat übrigens der Immobilienunternehmer Ortwin Goldbeck. Meine herzliche Gratulation zu der beeindruckenden Leistung als Innovator und Firmengründer. Meist sind es besondere Persönlichkeiten wie Goldbeck oder eben auch Türeci und Sahin, die mit ihrem Drang, eine immer noch bessere Lösung zu finden, Innovationen hervorbringen. Sie sind der Grund dafür, dass Deutschland laut dem jährlichen Innovationsindex der Agentur Bloomberg beständig zu den innovativsten Volkswirtschaften der Welt gehört. Aktuell liegt Deutschland auf Platz 4, im vergangenen Jahr waren wir sogar „Innovationsweltmeister“.

Deutschlands wertvollster Rohstoff: Kluge Köpfe

Sehr interessant finde ich auch, dass die Zahl der Patentanmeldungen in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren um gut drei Prozent gestiegen ist – die Anmeldungen von Zuwanderern sind jedoch im gleichen Zeitraum nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft um 84 Prozent gestiegen, ganz vorne liegen dabei Migranten mit indischen und chinesischen Wurzeln. Das lässt den Schluss zu, dass Deutschland gut daran tut, weiter an einer offenen Willkommenskultur zu arbeiten. Denn ein Fakt lässt sich nicht abstreiten: Deutschlands wertvollster Rohstoff sind immer noch seine klugen Köpfe. Und aufgrund der demografischen Entwicklung ist es auf den Zustrom von außen angewiesen.


Innovationen sind für eine Gesellschaft und eine Volkswirtschaft überlebenswichtig. Das hat als erster der berühmte österreichische Ökonom Joseph Schumpeter festgestellt. In seinem Standardwerk der Wirtschaftswissenschaften „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ erklärte er im Jahr 1911, dass Neuerungen nicht nur aus ökonomischem Eigennutz entwickelt werden, sondern auch aus Freude am Gestalten. Ein innovativer Unternehmer wird laut Schumpeter durch seine Innovation zu einem Monopolisten. Meist reagieren Konkurrenten damit, die geniale Erfindung schnell nachzuahmen oder sie zu verbessern und damit zu übertrumpfen. Schumpeter beschrieb damit das Wechselspiel aus Innovation und Imitation als eine zentrale Triebkraft des Wettbewerbs – und damit des Fortschritts und dem damit einhergehenden Wohlstand.
Doch was genau ist das eigentlich, Innovation? Der Duden definiert den Begriff für die Wirtschaft so: „Realisierung einer neuartigen, fortschrittlichen Lösung für ein bestimmtes Problem, besonders die Einführung eines neuen Produkts oder die Anwendung eines neuen Verfahrens“.  Laut dem Gabler-Wirtschaftslexikon gibt es jedoch in der Wissenschaft bislang keinen „geschlossenen, allg. gültigen Innovationsansatz bzw. keine allg. akzeptierte Begriffsdefinition“.

Wir haben es immer verstanden, eine Lösung für ungelöstes Problem zu finden

Für mich erschließt sich das Thema Innovation natürlich zunächst einmal aus meiner Erfahrung als Unternehmer. OHB ist ein Raumfahrtunternehmen, wir entwickeln hochkomplexe Lösungen für Anwendungen im All – nicht selten sind das auch Entwicklungen, die sich an der Grenze des technisch Machbaren bewegen, und die wir dann auch noch in eine Umgebung schicken, die aus irdischer Perspektive unwirtlicher nicht sein könnte. Viele Projekte in unserer Firmengeschichte wurden in der Weise zuvor noch nie gemacht. Unsere Ingenieur:innen haben es jedoch immer verstanden, eine Lösung für ein bislang ungelöstes Problem zu finden. Ein Geheimnis von Innovationsfähigkeit besteht deshalb für mich darin, dass Unternehmen die Kompetenz und Kreativität ihrer Belegschaft wertschätzen und begünstigen. Denn diese Kreativität fördert regelmäßig innovative Lösungen zutage – Lösungen, die dann dazu eingesetzt werden können, einen zusätzlichen Nutzen für die Gesellschaft zu schaffen.
Im besten Fall führt die Innovation für die Firma dazu, dass sie damit eine Marktlücke besetzt oder gar einen neuen Markt schafft, den es zuvor noch nicht gegeben hat. Bei Schumpeter hieß dieser Vorgang „schöpferische Zerstörung“. Auslöser für die schöpferische Zerstörung sind Innovationen, die von den Unternehmern mit dem Ziel vorangetrieben werden, sich auf dem Markt durchzusetzen. Heute nennen wir diesen Prozess Disruption. Und es gibt genug mahnende Beispiele, was mit einer Firma passiert, wenn sie es verpasst, mit den Innovationen auf ihrem Markt mitzuhalten.

Forschung und Entwicklung als Grundlagen von Wohlstand

An unsere Produkte für die Raumfahrt gibt es sehr hohe Anforderungen in Sachen Technik, Schutz, Kommunikation und so weiter – insofern ist die Entwicklung natürlich ein großes Thema. Ich sage es gerne so: Heute leben wir von den Produkten, die wir im Moment herstellen, die unsere Kunden aber erst übermorgen werden einsetzen können. Aber meine Verantwortung ist es, dass wir auch morgen noch etwas zu tun haben - und da werden es Entwicklungen sein, die erst überübermorgen ihren Dienst tun werden. Und dazu bedarf es Innovation, deren entscheidender Schlüssel Forschung und Entwicklung sind.
Forschung und Entwicklung sind für mich auch die Grundlagen von Wohlstand und Fortschritt. Deshalb ist es so entscheidend, dass wir in der ganzen Gesellschaft die Lust auf Innovation wecken. Und da habe ich den Eindruck, dass wir in Deutschland noch viel mehr Bewusstsein dafür schaffen müssen. Wir müssen dafür werben, dass wir fasziniert sein müssen vom Fortschritt, von der Innovation, wie das etwa in Ländern wie den USA oder China der Fall ist.
Institutionen wie das Deutsche Institut für Erfindungswesen und die jährliche Verleihung der Rudolf-Diesel-Medaille für herausragende Innovationsleistungen sind deshalb wichtige Impulse, um die notwendige Aufmerksamkeit für Fortschritt und Entwicklung weiter hoch zu halten. „Der Große lebt nicht für sich, sondern für alle“ – dieser Ausspruch Rudolf Diesels steht für einen grundlegenden Geist, den die vielen Millionen Unternehmen in Deutschland teilen – nämlich den Erfindergeist.


Zur Person

Marco Fuchs (Jahrgang 1962) studierte Rechtswissenschaften in Berlin, Hamburg und New York. Von 1992 bis 1995 arbeitete er als Anwalt in New York und Frankfurt am Main. 1995 trat er in das Unternehmen OHB ein, das seine Eltern aufgebaut hatten. Seit dem Jahr 2000 ist er Vorstandsvorsitzender der jetzigen OHB SE und seit 2011 der OHB System AG. Marco Fuchs ist verheiratet und hat zwei Kinder.